Bachelorarbeit

Musik fühlen -  Improvisations- und Kompositionsmodelle für blinde und sehbehinderte Menschen

Meine Bachelorarbeit entwickelt Modelle, mit denen in ihrer Sehfähigkeit eingeschränkte Personen musizieren, improvisieren und komponieren können. Die Idee hierzu entstand durch private Arbeit in der Blindenbetreuung sowie meiner Tätigkeit als Freizeitbetreuer bei Blindenfreizeiten 2012 und 2013 in Bookholzberg - durchgeführt vom IRIS-Institut in Hamburg. Einige weiter unten vorgestellte Modelle konnten so direkt mit blinden Kindern erprobt und weiterentwickelt werden.

 

Für einen Einblick in meine Bachelorarbeit kannst du nachfolgend die Einleitung lesen, in der genauer die Sinnhaftigkeit meiner Modelle hergeleitet wird. Anschließend findest du einen sehr kurzen Exkurs zur Braille-Notenschrift und einige Bilder zu den von mir entwickelten Improvisations- und Kompositionsmodellen. In der PDF kannst du einen Blick in das Inhaltsverzeichnis der Bachelorarbeit werfen.

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Inhaltsverzeichnis. Bachelorarbeit- Musi
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Einleitung

Ein Leben ohne Musik ist unvorstellbar. Sie erklingt im Einkaufscenter, im Konzertsaal, in der Bahnhofshalle, im Auto, in unseren Kopfhörern, auf dem Handy, durch unsere Instrumente oder durch unsere Stimme. Annähernd überall ertönt sie in vielen Farben und Gestalten. Als kulturelles oder persönliches Gut wird sie festgehalten und niedergeschrieben oder in Form von Audiomaterial aufbewahrt. Dieser Vorgang ermöglicht bzw. erleichtert die Umsetzung eigener und fremder Werke, eine Anlehnung an diese sowie einen Rückgriff auf Stücke. Im Laufe der Zeit haben sich zahlreiche Notationsformen zum Zwecke der Fixierung von Musik entwickelt, angepasst an die verschiedenen Instrumente, Stile, Kulturen und Musiker.

Erst seit 1830 ist es allerdings durch die von Louis Braille entwickelte Notenschrift blinden und sehbehinderten Menschen möglich, Musik festzuhalten, sodass sie reproduzierbar wird (1). Mit festen Regeln und Strukturen, unzähligen Möglichkeiten einer Verkürzungsschrift und gleichen Zeichen bei abweichender Bedeutung zur Braille-Alphabetsschrift ist die Braille-Notenschrift schwer zu beherrschen. Besonders im Kindesalter, da der Tastsinn noch mit einer genauen Lokalisierung der einzelnen Punkte der Schrift zu kämpfen hat, erweist sich die Braille-Notenschrift als Hürde. Zwar gibt es Versuche leichtere Notenschriften für blinde Menschen zu entwerfen, doch haben sich die Systeme mit Kästchen und Linien sowie an Klavarscribo-Notation (2) erinnernde Formen nicht gegen die Braille-Notenschrift durchsetzen können. Allen diesen Schriften ist jedoch gemein, dass das Fühlen rein funktionell und praktisch ist.

 

In unserer modernen Zeit, in der Musik durch abstrakteste Graphiken, durch Visualisierung heraufbeschworen wird, sollte es auch für blinde und sehbehinderte Menschen eine Alternative zur akustischen Darstellung geben. Da der Tastsinn für den blinden Menschen analog zum Auge eines Sehenden ist, lässt sich somit eine der Graphischen Notation entsprechende Notationsform für blinde und sehbehinderte Menschen wünschen, eine Form, die tiefere Empfindungen und Assoziationen weckt als Punkte der Braille-Schrift. Diese Arbeit möchte Sehgeschädigten unter besonderer Berücksichtigung der haptischen Wahrnehmung kreative, anregende Methoden zum Improvisieren geben und zum Erstellen eigener Kompositionen befähigen, ohne die Regeln der Braille-Notenschrift kennen zu müssen.

 

Im ersten Kapitel sollen die Notationsformen der Musik thematisiert werden. Einleitend wird hierzu der Begriff Notation definiert ehe in einem kurzen Abriss eine Entwicklung bis hin zur modernen Notenschrift folgt. Der Beitrag mündet in der modernsten Form der Notation, der Graphischen Notation. Diese wird schließlich mit ihren wichtigsten Merkmalen erklärt, weil sie als Grundlage für die späteren Improvisations- und Kompositionsmodelle dient. Der Kern dieses Kapitels jedoch ist die Braille-Notenschrift, welche den Anreiz zur Erstellung neuer Improvisations- und Kompositionsmodelle gab. Die Anführung nur eines Bruchteils existierender Regeln und Muster soll die Dringlichkeit neuer Modelle, die komplexe Vorstellungen leichter abzubilden imstande sind, unterstreichen.

 

Das zweite Kapitel erklärt zunächst den Begriff Improvisation. Dem schließen sich verschiedene Methoden des Improvisierens an. In den angepassten Improvisationsmodellen für blinde und sehbehinderte Menschen werden diese wieder aufgegriffen. Die Modelle sind mit einer Durchführungsanweisung, einer Materialangabe, möglichen Varianten und Zielsetzungen beschrieben.

 

Das dritte Kapitel beginnt mit der Definition des Kompositionsbegriffs. Ergänzend werden einige Methoden bzw. Gedankengänge kompositorischen Schaffens erwähnt. Abschließend werden die Kompositionsmodelle für blinde und sehbehinderte Menschen inklusiver ihrer Möglichkeiten anhand von Beispielen erklärt. Sie orientieren sich an der bereits behandelten Graphischen Notation, zielen aber nicht auf eine visuelle, sondern auf eine haptische Wahrnehmung ab.

 

1 Vgl. Emil Freund, Art. Notation, X: Blindennotation, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart Bd. 7, Kassel 1996, 381-382.

2 Die Klavarscribo-Notation arbeitet mit einem Mehr-Liniensystem, bei dem Linien (schwarzen Klaviertasten entsprechend) und Zwischenräume (weißen Klaviertasten entsprechend) gleichsam einem Klavier angeordnet sind.


Braille-Notenschrift

Die Braille-Notenschrift kann hier aufgrund der Komplexität nicht mit allen Zeichen und Sonderregeln dargestellt werden. Auszugsweise werden einige Grundzeichen gezeigt. Wie muss ich mir die Übertragung der Notenschrift in Brailleschrift vorstellen? Kurz gesagt: Einer gespielten Noten ist ein Braillezeichen für den Ton und ein Zeichen für den Notenwert zugeordnet. Damit beginnend kann sich mitunter eine lange Kette aus Zeichen für eine Note ergeben, da weitere Braillezeichen für konkrete Oktavlage, Versetzungszeichen, Dynamik, Fingersatz, Artikulation wie auch weitere Zeichen für Takt, Mehrstimmigkeit, Wiederholungszeichen u.a. voran- oder nachgestellt werden.



Improvisations- und Kompositionsmodelle - Einige Beispiele aus der Bachelorarbeit

Der Zauberwürfel

 

Der Quader beantwortet Fragen für Solo- oder auch Gruppenimprovisationen.

 

 

  • Wie laut / leise soll ich (oder …) spielen?“

 

  • Wie schnell / langsam soll ich (oder …) spielen?“

 

  • Wie hoch / tief soll ich (oder …) spielen?“

... Würfeln. Ertasten. Musizieren!

 

 

Die Strukturpasten-Komposition

 

Mit Strukturpaste werden Linien, Formen und Flächen auf kleine Kärtchen (z.B. Memory) gebracht, erfühlt und musiziert. Die skizzierten, ertastbaren Melodien, Motive, Dynamik- und Artikulationsanweisungen können dabei vielfach variiert werden, indem man die Kärtchen nach Belieben aneinanderreiht, dreht und anordnet.

 

 

 

 

 

 

Die Gitternetz-Komposition

 

Mit Hilfe eines geeigneten Gitterrasters (z.B. eines Brettspiels) können sogar mehrstimmige Sätze und Melodien tonhöhengenau tastbar gemacht werden.

Die Material-Komposition

 

 

Alle denkbaren Gegenstände und Materialien dienen dem Komponisten zum arrangieren eines ertastbaren Werkes. Dabei kann die Art und Weise der Positionierung ein gewünschtes musikalisches Parameter abbilden oder aber das Material mit seiner Beschaffenheit und Form selbst. Des Weiteren birgt jedes Material durch seinen Nutzen oder persönliche Assoziationen eigene Möglichkeiten einer musikalischen Umsetzung.

 

 

 

 

 

Beispiel 1:

 

Duschmatte und Muscheln

 

 

 

 

Beispiel 2:

 

Salz und Stock

 

 

 

 

Beispiel 3:

 

Putzschwamm und Kunststofflöffel

 

 

 

 

Beispiel 4:

 

Telefonkabel und Mützenbommel