Brief an Pusemuckl

(2020)


In diesem Beitrag möchte ich die Lebensgeschichte meiner verstorbenen Katze namens Pusemuckl niederschreiben. Zur Erinnerung und Sammlung sind Fotos eingefügt. Auch sind sämtliche Gedichte oder Pusemuckl gewidmete Klavierstücke eingearbeitet, wenngleich sie noch nicht in final bearbeiteter Form darliegen. Denn unsere gemeinsame Zeit hatte laute und leise Momente, hatte Höhen und Tiefen. Unsere gemeinsame Zeit war wie ein Konzert.



Steckbrief

Name: Pusemuckl

 

Spitznamen: Pussi, Mausi, Cat Stevens, Lady P.

 

Typ: 3-farbige Persermischlingsglückskatze

 

Charakter: ruhig, gesellig, scheu, treu, liebte Klaviermusik; hat nichts gegen Hühner, kann nicht gut mit Hunden

 

Alter: etwa 17 Jahre 

(┼ 08.06.2020)



Liebe Pusemuckl,

du warst circa zweieinhalb Jahre an meiner Seite, bevor du viel zu plötzlich gegangen bist. Doch dein Leben war nicht kurz. Deine Geschichte begann viel früher, vor etwa 17 Jahren. Du warst zugelaufen, wurdest von der alten Dame aufgenommen, wohntest hier auf dem Grundstück. Auf der Waschmaschine war dein Platz. Durch das kleine Fenster im Bad gingst du ein und aus. Ich habe mir erzählen lassen, dass du es liebtest, wenn dich die Oma mit ihrem Krückstock streichelte. Auch warst du schon Mutter. Doch weil du dich nicht genug gekümmert hast und unerfahren warst, nahm man dir die Kinder und kastrierte dich.

Ungefähr zweimal sah ich dich, bevor wir uns richtig kennenlernten. Hier wohnte nämlich die Oma von Doro. Sie verstarb vor wenigen Jahren und die Tante übernahm das Haus. Du wohntest draußen, seitdem die Oma nicht mehr lebte. Vor dem Schuppen standen Stühle gestapelt, darüber eine Art Regenplane, die alles bedeckte. Auf dem einen Stuhl lag das alte abgeranzte, zerfetzte Kissen. Das war dein Rückzugsort und Schlafplatz. Mit dem Einzug unserer Wohngemeinschaft in das Haus startet unsere gemeinsame Geschichte, die ich niemals missen möchte.

Seit unseres Einzugs im Oktober/ November 2017 suchte ich den Kontakt zu dir. Man sah dich ja häufiger draußen. Dein Fell war schon vollkommen verfilzt und unordentlich. Du warst scheu und wir versuchten dich immer wieder mit Futter in unser Haus zu locken und wollten uns mit dir anfreunden. Doch deine Liebe musste man sich erst hart erarbeiten. Da du im Winter immer noch in der Kälte zu Hause warst baute ich dir einen neuen Schlafplatz. Hierfür suchte ich einen Karton, schnitt vorne ein Loch hinein und legte den Boden mit einer gemütlichen Decke aus. Zur Isolation klebte ich noch Müllbeutel um den Karton. Den neuen Unterschlupf stellte ich in die Wellblechgarage auf den alten Schlitten, daneben die Näpfe für Wasser und Futter. Voll Freude nahmst du mein Angebot war. Immer wieder durfte ich zum Dank die Decken ausschütteln und die Näpfe wieder auffüllen.

Schließlich schafften wir es dich ins Haus zu locken. Ich füllte einen großen Karton mit Sand. Dein provisorisches Klo. Für die Übernachtung hattest du den Flur und das Bad. Wir hatten Sorge, dass du alles verdreckst. Und tatsächlich hast du über Nacht den Teppich im Bad ziemlich vollgeschissen. Morgens warst du verständlicherweise total durch den Wind. Eingesperrt. Ängstlich. Alles befremdlich. Doch es ging nicht anders. Nur so konnten wir dich einfangen und mit dir zum Tierarzt. Dein Fell war komplett verfilzt. Überall am Körper hattest du starke Entzündungen.

Als wir dich wieder vom Tierarzt abholten warst du sehr erschöpft und kaum wiederzuerkennen. Durch die Narkose warst du so schlapp, dass du kaum die Treppenstufen erklimmen konntest. Du warst sehr wackelig auf den Beinen. Also musstest du im Wohnzimmer auf dem Sofa übernachten. Ich konnte nicht ruhigen Gewissens oben in meinem Bett schlafen, während du zittrig und verletzlich in deinem noch sehr unvertrauten Wohnraum lagst. Deshalb kam ich runter und legte mich ganz dicht neben dich auf das Sofa und wir schliefen gemeinsam ein. In dieser Nacht entstand unser unzertrennliches Band ewiger Freundschaft und Liebe.

Ich peppelte dich wieder auf und besorgte alles Notwendige: Ein Katzenklo. Eine Sisal-Kratzstange. Futter. Näpfe. Katzenspielzeug. Doch vieles davon hätte ich nicht kaufen müssen. Zum Schärfen deiner Krallen hast du lieber meine Teppiche oder den Baum draußen genutzt. Das Angelspielzeug hast du ignoriert, bis ich es ein Jahr später am Deckenbalken meines Zimmer fest installiert habe. So konntest du auch spielen, wenn ich morgens nicht da war. Die Angel war schon richtig ausgeleiert, weil du den Köder fast bis zum anderen Ende des Zimmers gezogen hast. Ein alternativer einfacher Faden zum Spielen gefiel dir ebenso gut, wie man auf einigen Bildern gut erkennen kann. Aber die wahrscheinlich beste Errungenschaft, war der Ball, in den ich Leckerlies stecken konnte. Den hast du immer gern durch das Zimmel gekugelt. Einmal hast du den runden Futterspender lautstark die Treppe runtergeschossen, wie man in der Küche deutlich hören durfte.

 


Anfangs hast du dich manchmal in der Ecke im Abstellraum versteckt. Wahrscheinlich, weil es dort so schön dunkel war. Später hast du dich lediglich manchmal im Bad hinter dem Regal versteckt. Man konnte nur deine Ohren durch offene Stellen im Regal sehen. Die Höhle im Kratzbaum hast du nicht genutzt. Du hast den Kratzbaum sogar gänzlich ignoriert und neben mir im Bett geschlafen. Dabei habe ich extra einen Stamm umgebaut, sodass du eine Aussichtsplattform in Fensterhöhe hast. Witzigerweise hast du den Kratzbaum erst etwa ein Jahr später erklommen und als Aussichtspunkt und Schlafplatz genutzt. Direkt nachdem ich meiner Schwester am Telefon versprochen hatte den Kratzbaum beim nächsten Heimatbesuch für ihre Katze mitzunehmen.

Zu deinem Einzug in mein Zimmer widmete ich dir das Klavierstück "New Home". Denn du liebtest wie ich die Musik. Ruhige Klaviermusik hatte es dir besonders angetan. Selbst beim Musikgeschmack waren wir auf einer Wellenlänge. Zum Einschlafen oder Ausruhen mochtest du Musik hören. Am liebsten jedoch hast du neben mir auf dem Klavierhocker gesessen und mir beim Spielen zugesehen. Immer rechts von mir. Sobald ich am Klavier saß kamst du sofort dazu. Meine Finger über die Tasten gleitend, dein Blick langsam folgend. Ja, Du warst eine richtige Klavierkatze. Hätte ich jemals Videos für Youtube produziert, so wärst du ein absoluter Blickfang und Symbol des Kanals geworden. Und weil du die Musik genau so liebtest wie ich, scheuchte ich dich nur äußerst selten vom Klavierhocker. Meist musste ich mich sehr lang und krumm machen. Über dich greifen mit dem Arm. Schnelle Stücke, für die man das ganze Spektrum an Tasten benötigte, konnte ich mit dir als treues Hindernis kaum spielen. Aber für dich war mir keine Anstrengung zu schade.

Uns ging es wirklich gut. Du warst ziemlich stubenrein. Meistens. Denn einmal hast du plötzlich mit einem "Kackfuß" auf dem Sofa neben uns gesessen und einmal war dein Schweif äußerst klebrig und vollgeschissen. Aber mit Wasser durfte man nicht an dich heran. Also war es eine Frage der Zeit bis du es herausgeputzt bekommen hast.

 

Bei gutem Wetter warst du gerne draußen im Garten. Öffnete man dir die Tür ins freie, so hast du dich immer erst auf dem steinernen Boden gewelzt. Und damals, bevor der Baum gekürzt wurde, hast du lange Bäder in der Sonne auf dem Wellblachgaragendach genossen. Es war immer schön dir dabei zuzusehen, wie du an dem Baum heruntergeklettert bist. Später bist du dann sogar mehrfach auf dem anderen Schuppen gewesen, hast dich mühsam an dem gewundenen Baum hochgekämpft. Jedoch hast du es oft kaum runtergeschafft. Stundenlang musst du teils oben auf Hilfe gewartet haben. Ich weiß noch, wie ich dich mehrmals erretten musste. Und oft wusste man gar nicht, dass du dort gewesen bist. Irgendwann hast du es zum Glück gelassen das Dach des Schuppens zu erklimmen.

Aber es gab auch eine dunkle Zeit, die wir zusammen durchstehen mussten. Im Sommer 2019 mussten wir dir ein Mittel verabreichen, weil du eine wahre Flohpandemie ins Haus geholt hattest. Im Nachhinein weiß ich, dass du wegen der Flöhe mein Zimmer gemieden hattest und stattdessen häufiger im Wohnzimmer warst. Und dann warst du plötzlich weg. Spurlos verschwunden. Wegen der Flohkur? Wegen der Flöhe im Haus? Weil dich der Kater aus deinem Revier vertrieben hat? Wir wissen es nicht. Am Anfang dachte ich, du würdest nach ein paar Tagen von allein wiederkommen. Aber nein. Es wurden sechs sehr schwierige Wochen. Ich schaltete Anzeigen und druckte Flyer, die ich in der Nachbarschaft verteilte. Dann erhielt ich ein erstes Lebenszeichen von dir. Alina wohnt etwa fünf Häuser weiter. Sie rief mich an, weil sie dich in ihrem Garten gesehen hatte. Mehrfach schickte sie mir Nachrichten und Fotos wenn du dort aufgetaucht warst. Dann eilte ich sofort los, in der Hoffnung dich anzutreffen und nach Hause zu locken. Aber wolltest du überhaupt wieder zurückkommen? Oder hast du nur nicht mehr zurückgefunden? Mehrfach konnte ich dich nicht in Alinas Garten auffinden. Und auch das Absuchen der Nebengärten war nicht erfolgreich.

Doch dann kam der Abend, auf den ich so lange gewartet hatte. Wieder eine Nachricht von Alina. Zusammen mit Marlen machte ich mich auf den Weg. Mit deinem Lieblingsfutter raschelnd, deinen Namen rufend, durchsuchten wir Alinas Garten. Und dann entdeckte dich Marlen. Ein Hoffnungsschimmer! Du warst ganz in der Nähe, hast uns beobachtet. Als wir uns dir nähern wollten ranntest du davon. Hast du uns nicht erkannt? Hattest du Angst? Wir warteten geduldig. Nur nichts ereilen! Nach kurzer Pause riefen wir erneut deinen Namen. Du warst auf Abstand, aber noch sichtbar. Diesmal durfte es nicht schiefgehen! Langsam gingen wir aufeinander zu. Schritt für Schritt. Tatze für Tatze. Und wieder liefst du plötzlich davon. Diesmal außer Sichtweite, in einen anderen Garten. Die ersten Tränen liefen meine Wangen hinunter. Bitte nicht! Ich vermisste dich doch so und machte mir solche Sorgen! Langsam nahmen Marlen und ich die Verfolgung auf. Über den kleinen Hügelweg in den unbekannten Garten. Ich sah dich nicht, aber ich spürte deine Anwesenheit. Ich ging auf die Knie. Leise rief ich deinen Namen. Du antwortetest mit einem leisen Mauzen. Und plötzlich kamst du um die Ecke! Diesmal erkanntest du uns und liefst direkt auf mich zu! Es war wie in einem Märchen, das Happy End in einem Kinofilm. Ich konnte vor Freudentränen nichts mehr sehen, konnte kaum sprechen. Ich hatte dich zurück. Wenn man mich später nach dem glücklichsten Moment meines Lebens fragen wird, so werde ich diese Geschichte erzählen.

 

Allerdings endet hier nicht die Story. Schließlich konnte man dich nicht einfach greifen oder gar auf dem Arm tragen. Das mochtest du nie. Also ließen wir es drauf ankommen. Du solltest den ganzen Weg an der Straße entlang mit zurückkommen. Nicht umsonst nannte man dich meinen Schatten. Einen Stop mussten wir allerdings improvisieren: Hungrig und erschöpft leertest du auf dem Weg noch den Fressnapf von Alinas Katze. Den Rest des Weges gingen wir zusammen an der Straße und kamen sicher zu Hause an. Seit jenem Abend gaben wir noch mehr Acht aufeinander. Ich nahm mir mehr Zeit für unsere gemeinsamen Rituale und Spiele. Ich spielte wieder häufiger Klavier.Unser Bund wurde stärker.

Etwa ein Jahr später. Du musstest zum Schneiden deiner langen Fellhaare zum Tierarzt, weil man dich kaum noch bürsten konnte und sich die ersten unangenehmen Filzknoten bildeten. Die Narkose hat dich ein paar Tage zittrig und schlapp gemacht. Da habe ich dir eine Wärmelampe besorgt, in deren Licht du dich gerne gesetzt hast. Allerdings hat die Lampe schon nach einem Tag mit einem Knall ihre Funktion nicht mehr erfüllt. Aber du mochtest es ja sowieso noch lieber, wenn man dir ein Körnerkissen in der Mikrowelle aufwärmte. Zunächst warst du ein wenig skeptisch. Doch schon bald hast du auf den wärmenden Untersatz bestanden. Auf dem roten Sofa hast du beim Fernsehen zwischen uns gesessen, auf dem Körnerkissen. Und auch in dem neuen superweichen, flauschigen Premium-Körbchen wolltest du fortan immer das erwärmte Körnerkissen und darüber ein Handtuch, am liebsten Frottee. Es war zunächst gar nicht einfach gewesen, dich von dem neuen Schlafplatz zu überzeugen. Mehrfach habe ich dich mit Leckerlies hineingelockt. Das Einsinken im weichen Stoff, wie bei einem Gang durchs Wattenmeer, war dir erst etwas unangenehm und unheimlich. Doch dann liebtest du es sehr, hast nicht in meinem Bett geschlafen, sondern dicht neben mir – im dich fest umarmenden Körbchen vor meinem blauen Nachttisch. Nach unserem gemeinsamen Kuschelritual zur Schlafenszeit – mit wegen deiner kurzen Haare verkürztem Bürsten – bist du nun immer von der Bettkante direkt in das Körbchen gehüpft. Es war so schön, dich wieder glücklich schlafen zu sehen. Schließlich hast du unerwartet nach dem Besuch beim Tierarzt erstmals in der Höhle des Kratzbaums geschlafen, in die ich extra mit der himmelblauen Decke ausgepolstert hatte.

 

So bist du nach ein paar Tagen Schlappheit aufgrund der neuen Frisur wieder gern rausgegangen, hast dich an den alten Platz unter die Rose gelegt, bist aktiver unterwegs gewesen und wirktest nicht mehr so erschöpft von der warmen Sonne, die unter deinem Fell vorher kaum zu ertragen gewesen sein muss. Gern und viel warst du draußen, hast im Gras beim Nachbarn gesessen und das Treiben Richtung Straße beobachtet. Du hast ständig vom Gras vor der Hecke genascht, kurz hinter meinem Auto. Auch bist du wie früher eine kurze Runde durch den Garten gelaufen, am Schuppen vorbei, zwischen den Blumen und Sträuchern hindurch. Ein Richtungswechsel. Dann nochmal in der Nähe vom Gemüsebeet das Gras überprüfen und auch dort noch einmal kosten.

 

Besonders hatte es dir auch die neue Regentonne angetan, neben der du gern gesessen und von dort die Hühner beobachtet hast, die seit der Corona-Zeit bei uns heimisch wurden.


Du und die Hühner... Das ist auch so eine eigene Geschichte. Am Anfang hast du großen Abstand gehalten, fandest es überhaupt nicht gut, dass wir den hinteren Gartenbereich so großräumig mit einem Zaun abgesteckt hatten für sie. Immer wenn du kammst hat ein Huhn den Wachposten übernommen und sich aufgeplustert, den Hals lang gemacht – meistens Aurora. Bei einem der ersten Kontakte bist du ganz plötzlich an den Zaun gestürmt und wurdest von diesem abgehalten. Ob du tatsächlich ein Huhn hättest erlegen können und wollen? Man weiß es nicht. Aber betrachtet man die reine Körpermasse, so wärst du ohne Chancen gewesen.

Ein weiteres Mal noch kam es zu einem Kontakt mit den Hühnerdamen, der alles veränderte. Wir standen gerade am Hühnerzaun und du kamst auch von der Haustür in meine Richtung. Als du bei mir warst geschah es. Unerwartet und völlig beeindruckend bist du durch die engen Maschen des Hühnerzauns hindurch. Dann begann ein Wettrennen. Du hattest deine Aktion vorher nicht durchdacht. Die Hühner liefen in ihrer Neugierde direkt auf dich zu, dir hinterher. Denn du bekamst verständlicherweise Panik und ranntest quer durchs Gehege. Ich betrat umgehend das Gehege um dich zu erretten. Doch du wolltest nicht anhalten und die Hühner auch nicht. Ich versuchte die Hühner von dir fernzuhalten, damit du dich beruhigst und deinen Ausbruch aus dem Gehege vornehmen kannst. Nach einigen Minuten hattest du dich in der letzten Ecke hingesetzt. Es dauerte etwas, bis du unter dem von mir angehobenen Zaunstück hindurchgeklettert warst. Das Gehege wieder durch eine Zaunmasche zu verlassen fiel dir natürlich nicht ein. Nachdem du von mir befreit wurdest gingst du in einem großen Bogen entlang der Hecke zum Haus zurück.

 

Und was veränderte sich durch diese wahrscheinlich traumatisierende Begegnung? Nun...du hast mehrfach nur am Zaun oder an der Regentonne gesessen und die Hühner beobachtet und sie haben dir dabei zugesehen. Ihr lerntet euch kennen. Du wusstest, dass die Hühner zu uns gehören, weil wir sie regelmäßig aufsuchten, ihnen Essen und Trinken gaben. Manchmal schienst du sogar eifersüchtig. Doch die Hühner wussten auch, dass du ein Teil von mir bist. Ihr lerntet euch zu respektieren. Keiner lief mehr panisch auf den anderen zu oder dem anderen hinterher. Es begann der Zeitpunkt, ab dem du dich auch frei im Hühnergehege bewegen konntest.

 

Dann ging alles ganz schnell. Unsere letzten Wochen begannen ganz plötzlich und unerwartet. Ich war mit dir beim Tierarzt, weil du seit etwa einer Woche täglich einmal erbrochen hast. Dein Gewicht lag bei etwa 2,3kg. Du warst zwar schon immer eher dünn, doch der Gewichtsverlust wurde seit diesem Tag stetig deutlicher. Die Ärztin untersuchte dich gründlich. Sie nahm dir Blut ab und spritzte dir etwas unter die Haut, um dich aufzupeppeln. Einfühlsam tastete sie dich ab und hörte dein Herz ab. Eine leichte Schilddrüsenüberfunktion meinte sie zu fühlen und eine eher kleine Niere. Doch das Herz sei für das hohe Alter gut in Schuss, wenn auch wegen der Aufregung etwas stärker am pumpen. Du, liebe Pusemuckl, bist laut der Ärztin eine besonders gute Patientin gewesen. Ruhig, stark, mutig und gefasst, nicht wild und rebellierend.

 

Im Wartezimmer saß eine Frau, deren Katze an diesem Abend ihren letzten Tierarztbesuch bestreiten sollte. Die Katze sei über zwanzig Jahre alt und taub gewesen. Sie könne sich kaum noch bewegen. Da dachte ich noch: "Zum Glück habe ich noch ein paar Jahre mit meiner Katze". Das ich mich täuschte, sollte sich zweieinhalb Wochen später herausstellen.

 

Das Erbrechen führt zu einem Flüssigkeitsverlust, der bei einer alten, wenig trinkenden Katze verheerend sein kann. Und da du auf einmal deinem Nassfutter häufiger den Rücken zugewandt hattest, besorgte ich neue Futtersorten, um dich zu motivieren. Denn auch das Trockenfutter schien dir nicht mehr so zuzusagen.


Dein Durchfall wurde immer schlimmer. Manchmal war ich mir nicht sicher, ob es vielleicht meine Schuld sei mit deinen Problemen, weil ich nun zu abwechslungsreich fütterte. Vielleicht konntest du das neue Futter nicht so gut vertragen? Ich habe viel in Foren gelesen, dass Katzen einige Tage brauchen, um den Stoffwechsel an das neue Futter anzupassen. Also kehrte ich nach einigen Tests zu hochwertigen Futtersorten zu den dir langezeit gemochten Nassfuttersorten zurück. Gelegentliche neue Futterproben mischte ich mit Trockenfutter, um es verdaulicher zu machen.

Nur zwei Tage Später erhielt ich den Anruf vom Tierarzt. Wir mussten nochmal hin. Die Blutwerte waren insgesamt in Ordnung, was die Ärztin erstaunte. Wieder wurdest du abgetastet und mit nährenden Mitteln vollgepumpt, an den Tropf gehängt. Als du kurz einen Trichter um den Hals bekamst, hast du die Tierärztin laut angefaucht. Sowas habe ich selten von dir gehört. Insgesamt hast du die Prozedur aber ohne größere Aufschreie über dich ergehen lassen. Selbst, obwohl dir nach der Verabreichung dieser schwarzen Paste in den Mund der Speichel nur so dahinfloss. Das Zeug gefiel dir überhaupt nicht. Ich konnte es deutlich spüren. Leicht beunruhigt zeigte mir die Ärztin, wie die Paste in den Rachen zu drücken sei, während die Arzthelferin fachmännisch dein Maul weit aufriss. Wie sollte man dies so einfach zu Hause nachmachen? Erschöpft und kapitulierend drehtest du dich selbständig auf dem Behandlungstisch um und betratst den Katzentransportkorb, dein Gefängnis. Zu diesem Zeitpunkt wusstest du sicherlich schon, dass es keinen Ausweg mehr gibt. Hattest du mir auf der Fahrt zum Tierarzt die Ohren mit wehklagendem Miauen zugedröhnt, so bliebst du auf der Rückfahrt fast ganz stumm. Traurig. Geschwächt. Resignierend.

 

Dieser Tag beim Tierarzt endete für uns beide mit großen Tränen. Pia und Doro verabreichten dir abends nochmal diese schwarze Paste. Du hast dann das Wohnzimmer vollgetropft mit der geschwärzten Speichelflüssigkeit. Es war eine große Sauerei, aber auch das konnte mich nicht davon abhalten, dir nahe sein zu wollen. Nachdem der Fußboden der Küche viele schwarze Flecken aufwies kamst du endlich zu mir auf das Sofa gesprungen, klettertest langsam auf meinen Schos und tropftest mich voll. Doch nicht deswegen bleibt dieser Tag so stark in meinem Gedächtnis verhaftet. Es war das erste Mal seit etwa einem Jahr, dass du abends nicht mehr heimgekehrt bist. Du warst nicht in deinem sicheren Rückzugsort. Hast nicht geborgen geschlafen. Warst nicht in meinem Zimmer. Warst nicht bei mir. Ich suchte dich abends mehrfach, lief meine übliche Runde in der Nachbarschaft. Meinen letzten Gang tätigte ich gegen Mitternacht. Du kamst nicht und ich machte mir riesige Sorgen. Warst du beleidigt? Ging es dir schon so schlecht, dass du dich einfach nur zurückziehen wolltest? Warst du gegangen, weil man dich vielleicht nicht am Wohnzimmerfenster hatte rufen hören? Ich konnte nicht schlafen, vermisste dich so sehr.

Als ich morgens um 5:30 Uhr kurz draußen war kamst du plötzlich um die Ecke. Ich war völlig erleichtert. Ziemlich hungrig und durstig hast du sofort alles verspeist, was ich dir hinstellte. Dann gingst du zielstrebig und auf leisen Pfoten nach oben in mein Zimmer und legtest dich in dein Körbchen. Du wirktest total erschöpft, fix und fertig.

Es war auch nicht ungewöhnlich, dass du gern länger unterwegs warst. Es war lediglich seltsam und beunruhigend, dass du nicht zurückgekommen warst. Seit es draußen angenehm warm war hast du ja häufiger wieder kleine Streifzüge unternommen. Du hattest dich mit den Hühnern arrangiert, das Gehege zunehmend aufgesucht und dich am Komposthaufen hingesetzt. Dort lagst du auf der Lauer nach Mäusen und erfreutest dich an dem neuen, ruhigen Schattenplatz. Gelegentlich liefen Hühner an dir vorbei und pickten im Gras, doch das störte dich nicht mehr.

 

Dann wolltest du dein Hoheitsgebiet vom Garten weiter ausweiten. Du suchtest Lücken im großen Holzzaun und hast sogar einmal einen senkrechten Kletterversuch übernommen, den ich durch Warnrufe abbrechen konnte. Denn zu diesem Zeitpunkt und die nächsten Tage war noch deutlich zu bemerken, dass du noch nicht immer gut zurückfindest, nicht einmal den ganz offensichtlichen kurzen Weg durch den Hühnerzaun gen heimwärts. Manchmal gelang es dir nicht dich durch die schmalen Maschen zu zwängen. Das sah etwas komisch aus, wie du immer wieder versuchtest den Kopf hindurchzuschieben.

Deine Ausflüge wurden länger und häufiger. Du konntest es morgens kaum erwarten das Haus zu verlassen. Oft sah man dich dann erst spät abends wieder. Vielleicht warst du tagsüber mal kurz beim Kompost oder kamst, um nach Futter zu rufen. Aber viel lieber hast du dein Essen bei Alina im Garten geholt. Das weiss ich, weil sie mir ein Foto von dir schickte. Sie wohnte ja nur zehn Hausnummern weiter und hatte immer ein riesiges Aufgebot an frischem Fleisch, Trockenfutter, Brot und Wasser im Garten stehen. Sämtliche Katzen und Igel der Nachbarschaft kamen zu ihr. So auch du. Ich dachte zuerst, dass damit auch deine Appetitlosigkeit zu Hause zu erklären wäre. Aber es sollte sich als etwas viel schlimmeres herausstellen, als ein einfach nur viel attraktiveres Futterangebot der Nachbarschaft.

 

Dein Durchfall ging nicht weg und du musstest dich immer häufiger übergeben, mittlerweile ungefähr drei Mal täglich. Du hast nur wenig gefressen, selbst das Nassfutter wolltest du oft nicht. Und manchmal warst du total gierig und richtig hektisch beim Verzehr der Nahrung. Man konnte es richtig sehen wie du an Gewicht verloren hast. Da du nur noch etwa 2,1 kg auf die Waage brachtest meldete ich mich wie vereinbart erneut bei der Tierärztin. Erneut wurdest du an den Tropf gehängt und mit nährenden Stoffen versorgt. Etwa 100g konntest du zunehmen, doch in den folgenden 4 Tagen verlorst du weitere 400g Körpergewicht. An dem Freitag brachte ich dich für ein paar Stunden in die Klinik. Bei der späteren Abholung erhielt ich die Diagnose: Tumor. Vielleicht hatte ich es schon befürchtet, doch war ich dennoch geschockt. Im Gespräch mit der Tierärztin ergab alles ein schlüssiges Bild: Durchfall und häufiges Erbrechen, fehlende Flüssigkeit und Nahrungsaufnahme, damit einhergehender Gewichtsverlust, geringere Menge an weißen Blutkörperchen, sowie die zunehmende Suche nach unbedingter Nähe zu mir – seit einiger Zeit hast du dich neuerdings ständig auf meine Brust gesetzt und bist an mir hochgeklettert – und dein langes Fernbleiben, die vermutliche Suche nach einem ruhigen Platz für den stillen Frieden. Denn man sagt Katzen nach, dass sie nicht möchten, dass wir ihr Leiden sehen sollen. Und deine Leidensschreie, liebe Pusemuckl, wurden in den letzten Tagen offenbar.


Nun galt es zu entscheiden. Wohl die schwierigste und traurigste meiner bisherigen zu treffenden Entscheidungen. Wann ist der richtige Zeitpunkt dich gehen zu lassen? Wieviel erträgst du noch, wieviel ist zu viel? Die nächsten drei Tage ließen wir dich nicht nach draußen. Um dich zu beobachten. Um dich nicht allein dem Elend hinzugeben. Um mich an deinem Frieden teilhaben zu lassen. Schließlich gehörten wir unzertrennlich zusammen. Nicht ohne Grund nannte man dich auch meinen Schatten.

 

Dein Gesundheitszustand verschlimmerte sich weiterhin. Am Montag brachtest du nur noch 1,6 kg auf die Waage. Deine leidvollen Schreie waren nicht mehr zu ertragen. Es war deutlich zu spüren wie sehr du raus möchtest. Wie du dich von mir abschieden willst. Von deinem Leben. Und unserem.

 

So rief ich mittags beim Tierarzt an und erhielt für uns einen Termin für 18:00 zum Einschläfern. Die wohl längsten Stunden meines Lebens begannen. Stundenlang lagen wir abwechselnd auf dem Sofa oder meinem Bett, du auf meiner Brust, dich an mich geschmiegt. Die letzten drei Stunden machten wir zu einem besonderen Abschiedskonzert. Ich spielte dir zunächst eine Stunde Lieder auf dem Klavier vor, darunter natürlich auch "New Home". Und dann saßen wir wie versteinert zwei Stunden in meinem Bürostuhl, du eingerollt in meinem Schos, und hörten ein Live-Konzert von Ludovico Einaudi.

Zusammen mit Marlen fuhren wir dann zusammen ein letztes Mal zum Tierarzt. Du warst gefasst. Tapfer. Ruhig. Erleichtert. Erlöst. Dem Leben entschlafen. Ich hielt dich in meinen Armen und konnte vor Trauer kaum weinen. In deinem Blick lag Frieden. Und Dankbarkeit. Für unsere gemeinsame Zeit. Für den Abschied aus einem Leben, das ein Konzert war.

 

 

 

 


Abschiedsworte

 

Du zeigtest mir, dass Liebe ist,

wenn man den andern stets vermisst,

auch wenn er nur nach draußen geht,

weil er sich seines Leidens schämt.

 

 

Treu ohne Grenzen,

stark bis zum Letzten,

sanft deine Tatzen.

 

 

Der Erde gegeben,

dem Tode entgegen,

fort dein Lebensschimmer,

im Herzen für immer.

 

 

 

Ich vermisse

  • wie du neben mir auf dem Klavierhocker sitzt

  • wie deine Pfoten sanft zu hören sind, wenn du vom Flur zum Bett taperst

  • wie du neben mir die Treppe hochsprintest und mich einholst

  • wie du aus dem Fenster schaust, um zu sehen wann ich komme und dann nach unten läufst und auf mich wartest, weil du mich einparken gesehen hast

  • deinen Geruch, auch wenn wir stoßlüften und darüber lachen müssen

  • wie du mich beleidigt anknurrst wenn ich "pscht" rufe

  • wie du mein Schatten bist

  • wie du neben mir im Bett liegst

  • wie du auf mir sitzt und meine Brust eindrückst, dass ich kaum atmen kann

  • wie du meinen Bürostuhl zum Schlafen benutzt und mich das nervt

  • wie du über das Klavier und meinen Tisch rennst und Dinge fast runterwirfst

  • wie du freudig um mein Bein streifst, wenn du Essen bekommst

  • wie man dir beim Sonnenbaden zusehen kann

  • wie du dich durch den Zaun in das Hühnergehege zwängst

  • wie du zwischen uns auf der Couch liegst

  • wie du mir Wärme und Nähe gibst

  • wie du das Spiel mit der Angel änderst, indem du dich auf den Köder setzt und gelassen in die Gegend schaust, während ich versuche die Angel unter dir herauszuziehen

  • wie ich wegen dir alles entflohen muss

  • wie ich Umwege mit dir laufen muss wenn der Hund zu Besuch ist

  • wie du versuchst eine Maus hinauf in mein Zimmer zu bringen

  • wie du mich daran erinnerst, dass ich endlich ins Bett gehen und dich dann bürsten soll

  • wie du mein Leben zu einem Konzert gemacht hast

 Ich vermisse DICH.